Fürchte Dich nicht – Impuls zum 1. Advent

Mitten in die dunkle Jahreszeit kommt der Advent mit seinem Licht und dem Versprechen, dass das Warten sich lohnt, dass die Hoffnung das letzte Wort hat und der Kummer ein Ende. „Fürchte Dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“  – heißt es bei Jesaja im Alten Testament. Wie hören wir diesen Zuspruch Gottes in diesem Advent? Was löst er in uns aus – Dankbarkeit, Erleichterung, Unwillen, Widerspruch?

Wir wollen an den vier Adventssonntagen unsere verschiedenen Perspektiven auf diesen Vers mit euch teilen und so auch das Licht, das die dunkle Jahreszeit erhellt. Den Anfang macht Anette von Eichhain, Religionspädagogin, Systemische Beraterin und Referentin für Teamentwicklung in Josefstal:

Fürchte Dich nicht!

Hätten wir in unserer Evolutionsgeschichte stets auf diesen Satz vertraut, wir wären alle Opfer hungriger Säbelzahntiger, flinker Giftschlangen und anderer versteckter Gefahren geworden. Angst rettet Leben. Wer Angst hat, dessen Nervensystem schaltet auf Hochtouren. Wer Angst hat, ist vorsichtig, ist schnell und bekommt einen extra Kraftschub durch das freigesetzte Adrenalin – allzeit bereit zur Flucht oder zum Kampf. Gut und wichtig und lebensrettend also, wenn wir Angst haben können.

Was also soll falsch sein daran, Angst zu haben…

wenn es uns doch so leistungsfähig macht? Die Mobilisierung der Kraftreserven, die diese Angstmechanismen in uns auslösen, genauer: die Aktivierung unseres Sympathikus schöpft nicht aus dem Nichts. Die Kraft und Energie, die wir in diesen angstvollen Momenten wie ein Feuerwerk effektvoll verbrennen können, die uns überleben lässt, sie entstammt Zeiten, in denen sie angesammelt wurde. Vertrauen, Kraft, Selbst-Bewusstsein brauchen angstfreie Zeiten, um zu wachsen und uns in der Krise zur Verfügung stehen zu können.

Das Leben in einer dauerhaften Bedrohungslage zehrt unsere Nerven aus.

Durch die dauerhafte Cortisolbelastung leeren sich unsere Energiespeicher. Das schwächt uns als ganze Menschen an Körper und Geist. In der Coronapandemie erfahren wir das an Leib und Seele. Für ein dauerhaftes Leben in Furcht und Angst sind wir einfach nicht gemacht. Angst hemmt effektiv den Zugang zu unserem zweiten wichtigen Nervensystem, dem Parasympathikus. Wäre der aktiviert, würde er Entspannung mit sich bringen, uns zur Ruhe kommen lassen, dafür sorgen, dass unsere Verdauung ihren Job gut machen kann (nicht unerheblich in Anbetracht der vor uns liegenden Feiertage). Er würde unsere Kraftreserven auffüllen. Die Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktion spricht gar davon, dass Angst uns den Zugang nicht nur zum komplexen Denken und zu unserer Intuition verbaut. Führt man den Gedanken weiter, verwehrt uns unsere Angst auch den Zugang zu unserer Spiritualität.

„Angst fressen Seele auf“

Wer Angst hat, kann den Speicher an Gutem, Vertrauen, Hoffnung und Zuversicht nicht auffüllen. Wer keine Reserven hat, den erledigt die Angst. Ein Teufelskreis. Aber einer, den wir bewusst unterbrechen können. Wir können uns zwar erst entspannen, wenn das alternative Nervensystem (der Parasympathikus) aktiviert wird, weil die Angst nachlässt – aber wir müssen nicht darauf warten, dass dies von alleine geschieht. Wir können handeln.

Fürchte Dich nicht – das bedeutet nichts anderes als: Lass Deine Seele zur Ruhe kommen. Sei mutig und öffne Dich, für andere, aber auch für Dich selbst.

Fürchte Dich nicht und unterbreche den Teufelskreis.

Fürchte Dich nicht und zünde ein Licht an.

Fürchte Dich nicht und setze Dich hin und tue Dir Gutes.

Fürchte Dich nicht und genieße – die kalte Luft eines Spaziergangs im anbrechenden Winter, die Wärme einer Badewanne, die Fülle eines guten Essens, das Bewusstseins des Lebens in jeder Faser Deines Körpers

Fürchte Dich nicht und erinnere Dich an Dinge, die bleiben, durch die Angst hindurch – Freundschaften, Hoffnungsmomente, Musik.

Fürchte Dich nicht und schaffe Raum, damit Deine Seele dem Göttlichen begegnet – nicht nur im Advent

„Fürchte Dich nicht!“ Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie tief das psychologische Verständnis dieser alten, biblischen Worte doch ist.

– Anette Daublebsky von Eichhain

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