10 Tipps für mehr Interaktion und Emotionalität in Online-Seminaren

Online heißt lähmende Technik und Frontalvorträge. Eine*r redet, alle anderen sind stumm. Interaktion, Teilhabe, prozessorientiertes Arbeiten = Fehlanzeige. Oder?

Florian Wenzel (www.peripheria.de) weiß, dass es auch anders geht. Er hat 10 Tipps für mehr Interaktion und Emotionalität in Online-Seminaren zusammengestellt. Seine Überzeugung: die sind nicht nur instrumentell umsetzbar, sondern spiegeln eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Teilnehmenden wider. So entsteht gemeinsames Lernen, das alle gleichermaßen bereichern und inspirieren wird.

1. Zeigen Sie sich als Moderator:in!

Virtuelle Seminare sind einerseits distanziert, andererseits erlauben Sie Einblicke in oft private Umgebungen. Gehen Sie in ‚Vorleistung‘ und teilen mit den Teilnehmenden am Beginn eines Seminars etwas von ihrer Umgebung mit, so dass Sie als Mensch jenseits einer Rolle erkennbar werden. Vermeiden Sie gelabelte oder ‚schöne‘ technische Hintergründe im Konferenzsystem. Nutzen Sie Gegenständliches, um sich zu verorten, sei es eine Tasse Kaffee, eine Kerze, ein Bild auf dem Schreibtisch oder Ähnliches. Nutzen Sie dazu auch eine zweite Kamera! Nehmen Sie die Teilnehmenden auf eine (Bilder-)Reise des eigentlichen Seminarorts, des Gartens, Freizeitgeländes, Ihrer eigenen Umgebung, um einen weiten Raum jenseits des Kameraausschnitts aufzuspannen und eine gute Verortung zu ermöglichen.

2. Beginnen Sie mit Klein(st)gruppen

Setzen Sie gleich zu Beginn eines virtuellen Seminars verschiedene Signale, dass Begegnung und Austausch im Vordergrund stehen. Vermeiden Sie klassische Vorstellungsrunden, die online noch ermüdender als im Stuhlkreis sind. Laden Sie stattdessen Teilnehmende in 3-5 wechselnden Paaren oder Dreiergruppen mit kurzen Impulsen ein, sich vorzustellen und einen persönlichen Gedanken zur Thematik des Seminars, einer Begebenheit aus dem Alltag oder einem Wunsch an die Veranstaltung in 2-3 Minuten auszutauschen. Auch wenn diese unmittelbare ‚Konfrontation‘ mit Anderen manchmal noch etwas steif ist, so werden doch damit zahlreiche persönliche ‚Anker‘ innerhalb der Seminargruppe gesetzt. Nach diesem Austauschrunden bietet sich an, statt einer Vorstellungsrunde, zentrale Gedanken zu Themen und Personen gleichzeitig in den Chat zu schreiben.

3. Chatten Sie kreativ!

„Fragen bitte in den Chat.“ Vermeiden Sie diese Grundhaltung, die eine Trennung zwischen Moderation und Teilnehmenden herstellt. Nutzen Sie den Chat stattdessen für schnelle und kreative Vorstellungen, z.B. „Stellen Sie sich im Chat anhand von drei Zahlen zwischen 1 und 20 vor“ (‚Ich habe 4 Kinder, lebe in einem Dorf mit 1 Künstler und bin 7 Mal umgezogen‘). Nutzen Sie den Chat auch, um zu einem Thema Assoziationen oder auch Sprichwörter zu sammeln, z.B. „Welche Sprichwörter fallen Ihnen zum Thema Lernen ein?“, „Welche Adjektive gehen Ihnen beim Wort Sicherheit durch den Kopf?“

Lassen Sie auch Privatchats zwischen den Teilnehmenden zu – hier entwickelt sich Persönliches, ‚Geheimes‘ und Seitengespräche, die ansonsten in informellen Räumen im Seminar stattfinden – ebenso wie dort bekommen Sie das nicht mit, signalisieren damit aber auch im Online-Seminar Vertrauen und die Chance für Eigenständigkeit.

4. Gestalten Sie etwas gemeinsam!

Nutzen Sie virtuelle Möglichkeiten der symbolischen oder zeichnerischen Gestaltung, um Gemeinsamkeit innerhalb der Seminargruppe herzustellen. Wenn alle gemeinsam innerhalb von 5 Minuten einen Geburtstagsstrauß für ein Geburtstagskind zeichnen, die schönste Corona-Maske oder einen Sehnsuchtsort für den nächsten Urlaub, dann entstehen schnell spontane, verrückte und auch emotionale Bilder, die in Erinnerung bleiben. Wichtig ist, etwas zu finden, was alle gleichermaßen persönlich berührt und verbindet und nicht eine abstrakte Aufgabe wie in anderen ‚Übungen‘ ist („Gestalten Sie ein Bild von Demokratie.“) Solche Bilder bieten die Möglichkeit des symbolischen Wiedereinstiegs zu einem neuen Online-Termin, können in Dokumentationen emotionale Anker schaffen oder auch ausgedruckt auf verschiedenen Materialien den Teilnehmenden gesendet werden.

5. Nutzen Sie die analoge Welt!

Virtuelle Seminare finden in der realen Welt statt. Wann immer möglich, nutzen Sie zusammen mit den Teilnehmer:innen diese Gegenständlichkeit. Eine Vorstellungsrunde oder ein Feedback anhand eines Gegenstands aus der eigenen Umgebung vermittelt Persönliches und macht die unterschiedlichen Menschen ‚greifbar‘. Sie können auf Zuruf Begriffe oder Stimmungen aus dem Seminar sammeln und dazu jeweils alle einen Gegenstand holen lassen oder auch aus einem Stück Papier in einer Minute einen Gegenstand gestalten lassen.

Statt viel auf Folien zu präsentieren, ist es angenehm, hinter sich auf ein Flipchart zu schreiben, damit auch einmal aufzustehen und die Statik der Videokonferenz zu verlassen. Lassen Sie Arbeitsergebnisse auch einmal auf Papier und Kärtchen schreiben oder symbolisieren und laden sie Teilnehmende ein, dies in die Kamera zu halten. Oder sortieren Sie Ergebnisse auf dem Boden und visualisieren Sie diese durch eine zweite Kamera.

In Austauschpaaren bietet sich auch die einfache Möglichkeit an, gemeinsam mit dem Handy am Ohr einen Spaziergang zu machen und sich dabei zu unterhalten – damit entsteht das reale Gefühl, unterwegs zu sein und dann physisch wieder ins Plenum zurückzukehren.

6. Ton an! Bild an! Eigenansicht aus!

Inzwischen ist es bei den meisten Systemen nicht mehr nötig, in kleineren Gruppen bis 20 alle Mikrofone stumm zu schalten. Dies hatte und hat immer noch den Effekt, sich wie in einer Tagung zu fühlen, in der man aktiv einen ‚Meldebeitrag‘ signalisiert – womöglich noch mit einem technischen Handzeichen. Vermeiden Sie diese Grundhaltung und laden Sie alle immer wieder ein, ihre Mikrofone aktiviert zu lassen und ermuntern Sie alle, spontan zu sprechen und sich einzubringen. Falls es durcheinander geht, kann immer noch eine Regelung gefunden werden – die zentrale Herausforderung ist aber immer, überhaupt in eine lebhafte Diskussion zu kommen und nicht auf Aufrufe der Moderation zu warten.

Selbstverständlich sollte sein, während des Seminars die Kamera aktiviert zu haben. Diese wird gängigerweise in Pausen deaktiviert – warum eigentlich? Laden Sie alle ein, die Kameras auch in Pausen laufen zu lassen: dies signalisiert, dass auch in Pausen wir alle natürlich noch ‚da‘ sind, in einem Grundzusammenhang und nicht die Haltung entsteht, sich ‚ein- und auszuschalten‘ in einem nur formalisierten Konferenzraum. Außerdem wird so ermöglicht, dass sich informelle Gespräche ergeben können, wenn jemand bemerkt, dass auch schon Andere wieder da sind.

Manche Systeme erlauben es, die ‚Eigenansicht‘, d.h. das Sehen des eigenen Videobildes, zu deaktivieren. Ermuntern Sie die Teilnehmenden, dies einmal zu erproben und damit wie im realen Seminar nicht ständig vor einem ‚Spiegel‘ zu sitzen, sondern ohne Selbstfixierung die Anderen besser wahrzunehmen.

7. Gehen Sie in den Hintergrund!

Ton aus und/oder Bild aus – dies kann manchmal für Sie als Moderator:in hilfreich sein, um Interaktion innerhalb der Gruppe zu stärken und die Fixierung auf die Moderation zu vermeiden. Wenn Sie im Plenum ein Interaktionsfeld eröffnen, können Sie bewusst formulieren, dass Sie symbolisch aus dem Stuhlkreis treten, zuhören, aber nicht mit Ton und/oder Bild dabei sind. Damit muss die Gruppe auch höhere Eigenverantwortung in der Regelung ihrer Belange übernehmen.

Gleiches gilt für Reflexionsprozesse im Plenum nach Kleingruppenarbeiten. Gerade im virtuellen Raum wird gewartet, bis die Moderation ‚aufruft‘. Erklären Sie einen Zeitraum von 5-15 Minuten als offene Reflexionszeit für die Gruppe, schalten Sie Ton oder/und Bild aus oder rücken Sie knapp am Rand aus dem Bild, hören Sie zu und sortieren dabei, welche Diskussionsstränge Sie anschließend übernehmen wollen. Geben Sie auch dabei immer wieder die Verantwortung an die Teilnehmenden, aufeinander zu achten und sich auch gegenseitig das Wort zu geben, um zu vermeiden, dass Sie die klassische Rednerliste führen.

Dies gilt auch für die Rückkehr aus Kleingruppen – statt einer strikten technischen Zeitsetzung können Sie die Freiheit gewähren, selbstbestimmt ins Plenum zurückzukehren, soweit dies im Rahmen des Seminars möglich ist. Auch gegenseitige Besuche von Kleingruppenmitgliedern, der Besuch der Moderation in Kleingruppen, jemanden einer bereits zurück gekehrten Kleingruppe in eine noch arbeitende Kleingruppe schicken sind Möglichkeiten, hier ‚weiche Übergänge‘ zu schaffen, in denen nicht Sie als Moderation dominieren.

8. Visualisieren Sie Perspektivenvielfalt und Emotion!

Weniger noch als in direkter Begegnung sind unterschiedliche Meinungen, Standpunkte und Emotionen im virtuellen Raum direkt zu erfassen. Deshalb braucht es immer wieder Interventionen, um dies jenseits von Übungen unmittelbar im Plenum sichtbar zu machen. In größeren Gruppen bieten sich Umfragetools an, die zu spannenden Fragen und spannungsreichen Themen anonym Kontroversen erheben können, mit denen produktiv weiter gearbeitet wird. In kleineren Gruppen ist bei geeignetem System die Umbenennung des eigenen Namens eine sehr einfache und übersichtliche Möglichkeit: zu einer Frage wie etwa „wie zufrieden sind Sie mit…“ schreiben alle Teilnehmenden eine Zahl von 0-10 hinter ihren eigenen Namen – große Abweichungen, Unzufriedenheiten und Emotionen jenseits von Übungen können so direkt visualisiert und auch thematisiert und bearbeitet werden. Auch Fragen wie: „Welche Farbe bist Du heute? – Welcher Wert ist in Deinem Leben zentral? – An welchem Ort wärst Du jetzt gerne?“ können schnell hinter oder auch statt des Namens visualisiert werden. Bei Gruppenübungen ist für eine Übersicht der Vielfalt immer sinnvoll, bei der Rückkehr ins Plenum alle zu bitten, die Nummer oder den Namen ihrer jeweiligen Arbeitsgruppe hinter ihren Namen zu schreiben, um den Überblick zu behalten.

9. Die Kür – verschicken Sie vorab eine Überraschung!

In Präsenzseminaren gibt es immer wieder physische Momente der Gemeinsamkeit: eine Schachtel Pralinen geht herum, man trinkt gemeinsam einen Kaffee, Seminarunterlagen oder Broschüren werden verteilt, Give-Aways mit Logos werden zum Abschied verteilt… Wenn Sie die Möglichkeit haben, verschicken Sie ein ‚Überraschungspaket‘ mit dem Vermerk ‚Bitte zum Online-Seminar noch verschlossen bereithalten!‘ vorab an die Teilnehmenden. Darin können Materialien, Süßigkeiten, etwas Passendes zum Thema des Seminars enthalten sein – das Gleiche für alle oder, noch anspruchsvoller, verschiedene Dinge. Arbeitsunterlagen und thematische Aufträge eignen sich allerdings eher nicht, dafür sollten Sie die Präsenz des Online-Seminars nutzen.

Gemeinsam mit allen packen Sie während des Online-Seminars die Pakete aus, zeigen sie sich gegenseitig und verspeisen ja vielleicht gemeinsam einen Snack oder sind in der nächsten Einheit mit ihrem Kaffee in der neuen Tasse vor dem Bildschirm.

Machen Sie sich Ihren eigenen Tipp!

Schreiben Sie auf, was Sie beflügelt und belebt in Online-Seminaren und überlegen Sie, wie Sie das als Grundhaltung technisch und didaktisch umsetzen können: …

 

Mal live erleben? Am 26./27.10. gibt Florian Wenzel zusammen mit Marina Khanide ein Online-Seminar in Demokratiebildung. Aufhänger ist die Frage: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“

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