Stellungnahme zum Verhältnis des Studienzentrums Josefstal zu Helmut Kentler

Stellungnahme des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal

Das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. begrüßt die durch das Land Berlin ausgezahlten Entschädigungen für Betroffene des sogenannten “Kentler-Experiments”. In diesem Experiment hatten die Jugendbehörden des Landes Berlin auf Initiative und mit „wissenschaftlicher Begleitung“ durch Prof. Dr. Helmut Kentler (1928 – 2008) Jungen und Jugendliche an Pflegeväter vermittelt, von denen bekannt war, dass sie pädophile Neigungen hatten oder bereits als Päderasten aufgefallen waren. Hier kam es zu schwerem Missbrauch, für den wenige Betroffene nun durch den Staat entschädigt werden.

Wir nehmen die Entscheidung zum Anlass, zur Beziehung von Helmut Kentler zum Studienzentrum Stellung zu nehmen.

Helmut Kentler war von 1962 bis 1965 kurz nach Gründung des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. hauptamtlicher Mitarbeiter im theologisch-pädagogischen Team, mit dem Ziel, die Weiterentwicklung evangelischer Jugendarbeit voranzutreiben und hauptberufliche Mitarbeitende fortzubilden. In dieser Zeit prägte er zusammen mit anderen den Begriff von „emanzipatorischer Jugendarbeit“.

In der Folgezeit verstand Kentler es auf perfide Weise, die richtige Idee von der Rolle von Jugendarbeit zur Emanzipation und zur Subjektwerdung von Kindern und Jugendlichen mit seiner Verteidigung der Pädophilie zu verbinden. Er machte damit eine pädagogische Theorie zu einem Vehikel der Unterdrückung und des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Wir treten dieser Verknüpfung entschieden entgegen und sind bestürzt, dass auch das Studienzentrum einen Resonanzboden dafür geboten hat.

Kentler nutzte seine anerkannte Stellung als Wissenschaftler nicht nur für das bereits benannte, gut dokumentierte „Kentler-Experiment“ in Berlin, sondern auch in seiner Tätigkeit als Gerichtssachverständiger, in denen er in vielen Fällen zu Freisprüchen für Täter des sexuellen Missbrauchs beitrug. Diese Fälle in ihrer Gesamtheit sind erst in den letzten Jahren in ihrer Breite bekannt geworden.

Helmut Kentler blieb auch über seine hauptamtliche Zeit mit dem Studienzentrum verbunden. So wurde er immer wieder,  zuletzt 2001, zu Symposien und Fachgesprächen eingeladen. Bis 1999 war er jährlich für drei Wochen als „pädagogischer Berater“ an Freizeiten für Familien mit Menschen mit Behinderungen beteiligt.

Das Studienzentrum Josefstal war Teil des Milieus, das Kentler zu einem anerkannten Wissenschaftler und seine Ideen hoffähig gemacht hat. Es hat seinen Aussagen zur Rechtfertigung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen öffentlich nicht widersprochen. Auch als sich 2011 anlässlich einer Befassung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Gelegenheit bot, hat sich das Studienzentrum zwar intern, aber nicht in aller Deutlichkeit öffentlich von Helmut Kentler distanziert.

Das Studienzentrum hätte seine Aussagen in publizierten Werken kennen und ihnen entschieden entgegentreten müssen. Damit hat es der gewachsenen Beziehung zu einem bekannten Wissenschaftler mehr Raum gegeben als dem unbedingten Schutz von Kindern und Jugendlichen. In diesem Fall ist das Studienzentrum seinem Anspruch, für Kinder und Jugendliche einzutreten, nicht gerecht geworden. Damit trägt das Studienzentrum Mitschuld an dem Leid, das Kentler über viele junge Menschen gebracht hat.

Diese Stellungnahme ist Teil der Aufarbeitung durch das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit.

Weitere Schritte stehen an, darunter die folgenden:

  • Dem Vorstand des Studienzentrums sind keine Fälle von sexualisierter Gewalt oder anderen Formen von Missbrauch durch Helmut Kentler oder andere auf dem Gelände oder in Programmen des Studienzentrums bekannt. Betroffene sind gebeten, sich am besten vertraulich an die Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu wenden (Landeskirchenamt, Karlstr. 18, 80333 München, Tel.: 089/5595-335, ansprechstelleSG@elkb.de).
  • Wir werden aktiv weitere Nachforschungen über die Verbindungen von Helmut Kentler im Studienzentrum und seine Arbeit im Studienzentrum anstellen.
  • Wir werden uns aktiv an der Aufarbeitung einer Theorie von Jugendarbeit beteiligen, die es nicht vermocht hat, pädophilen Interessen rechtzeitig und klar entgegenzutreten.
  • Wir setzen seit 2010 ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt im Studienzentrum um. Dazu gehören u.a. die Selbstverpflichtung aller festen und freien Mitarbeitenden, die Benennung und Bekanntmachung von internen Vertrauenspersonen und externen Ansprechpersonen sowie die Schulung allen Personals.

Der Vorstand des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. am 1. Mai 2021

Albert Schweiger (1. Vorsitzender)

Roger Schmidt (Leiter des Studienzentrums)

Gerhard Engel (2. Vorsitzender)

Kurt Braml (Finanzvorstand)

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