Sichtbar machen

In unseren aktuellen Impulsen „Sichtbar machen“ habe ich mir die Frage gestellt, ob das auch eine Aufgabe für Teamentwicklung ist: Themen sichtbar machen… Für alle, die den Artikel lieber online lesen, stelle ich ihn hier nochmal in unseren Blog.

Sichtbar machen in Teams

„Das alles bleibt ausgesprochen unausgesprochen zwischen uns“ Annett Louisan tut, was viele von uns könnten: Ein Lied darüber singen, wie Unausgesprochenes, Ungesehenes, Unerhörtes zwischen Menschen zum Unüberwindbaren wird, wie das Ungesagte mit der Zeit unerhörtes Verhalten provoziert. Dieses Phänomen betrifft nicht nur Partnerschaften, die aneinander bitter wurden, sondern ereignet sich überall, wo Menschen miteinander sich zu schaffen machen. Ungesagtes und Unausgesprochenes kann also auch Teams belasten, in eskalierende Konflikte um schließlich mit Beziehungsabbrüchen, inneren oder äußeren Kündigung der Misere einen schmerzhaften Punkt zu setzen. Der Haken an der Sache ist nur, dass aus dem Punkt oft genug ein Doppelpunkt wird. Konfliktmuster tendieren zur Wiederholung und so sind wir verdammt, die immergleichen Auseinandersetzung in wechselnder Besetzung zu durchleben. Die Missstimmung wird sozusagen zur Fuge im orchestralen Miteinander und damit zur Aufforderung, den dahinterliegenden Konflikt zu lösen anstelle ihn beständig zu wiederholen.

 

Womit wir beim Thema wären….

Der dahinterliegende Konflikt – das Ungesehene – muss gesehen werden – sichtbar sein, soll eine nachhaltige Struktur und Einigung erfolgen.

Klar, Eisbergmodell! Die pädagogisch versierte Leserin wartet vielleicht schon darauf. Und natürlich: unter so vielen kleinen Alltagskonflikten liegen die größeren Themen. Hinter der Abneigung gegen Videokonferenzen schlummert vielleicht die Sehnsucht nach mehr Mitmenschlichkeit und Nähe, hinter dem Ärger über buchhalterische Notwendigkeiten die Sehnsucht nach Aufbruch und Innovation.

Um was genau geht es eigentlich?

Wenn man genauer hinsieht, polarisieren wir uns an kleineren Konfliktanlässen gerne über solche Werteachsen hinweg. Die eine betont mehr das sachliche Vorankommen im Meeting, während der andere gemütlich mit den Kollegen erstmal übers Wochenende schwätzen möchte. Der eine möchte mehr Sicherheit und Prozesse dokumentieren, die andere mehr Freiraum und Flexibilität im Team. Oft schaukeln sich solche Positionen gegeneinander auf. Durch die Gegenargumente des anderen wird meine Verteidigungslinie markanter, die Argumente dringlicher formuliert, die andere Position vielleicht in ihrer negativen Überhöhung abgewertet. Schließlich kann man mit solchen Paragraphenreitern als Fähnchen im Winde ja auch nicht zusammenarbeiten.

Sichtbar machen heißt in solchen Fällen, hinzusehen, durch die Anlässe des Geschehens tiefer zu blicken und das Thema zu enthüllen, das den eigentlichen Brennstoff liefert, das die Konflikte am Laufen hält. Dann liegen sie auf dem Tisch. Sind sichtbar. Die eigentlichen Fragen. Was ist meine Arbeit wert? Wie viel Raum darf ich als Mensch mit meinen Hoffnungen, Wünschen, Hobbys einnehmen? Darf ich scheitern? Muss ich immer motiviert sein? Welche Teamkultur haben wir und wollen wir diese so?

Der Rumpelstilzchen-Effekt

Lauter Fragen, bei denen man unterschiedlicher Meinung sein kann. Und jeweils mit Fug und Recht. Darüber ins Gespräch zu kommen, wie man als Team gemeinsam auf solche Fragen reagiert, wo man sich auf der Werteachse ausbalancieren kann ohne dass das Team, die Aufgabe oder einzelne hinunterfallen – darüber hilft es, ins Gespräch zu kommen. Sind die Unterschiede erst einmal sichtbar, können sie ausgesprochen werden. Und in dem Moment, in dem wir ihnen einen Namen geben, können wir mit ihnen umgehen. Fast wie im Märchen:  der Rumpelstilzcheneffekt – durch das Sichtbarmachen und die Benennung gewinnen die Menschen wieder Gestaltungsmöglichkeiten. Der Konflikt verliert seine Macht. Klarheit hilft dabei. Manchmal tut sie auch weh. Zum Beispiel, wenn man erkennt, was der eigene Beitrag zum Thema ist, oder sieht, dass verschiedene Positionen doch nicht integrierbar sind. Aber sie hilft, Entscheidungen ohne Groll treffen zu können, wenn sie getroffen werden müssen.

Ist Sichtbarkeit also immer das Mittel der Wahl? Es wäre doch zu einfach, wenn wir es in der Teamentwicklung bei der klaren Sichtbarmachung dessen, was ist, belassen würden. Werteorientierte Teamentwicklung möchte noch einen Schritt weiter sehen, noch tiefer gehen und Menschen dabei helfen, über die manchmal trennende Klarheit hinaus weiterhin gut gemeinsam sein zu können.

Was liegt unter dem Sichtbaren?

So wie unter den Konfliktanlässen verborgen oft Wertekonflikte liegen, so liegen unter den sichtbaren Unterschieden oft genug dennoch gemeinsame Interessen. Anliegen, die uns in aller Unterschiedlichkeit dennoch einen. Und nun kommen wir zum spannenden Kern der Sache:

Gelingt es das gemeinsam Tragende unter den Gräben sichtbar zu machen? Das einende Moment, das im mehr oder weniger eskalierenden Verlaufe eines Konflikts aus den Augen geraten ist? Überdeckt von nicht aufgeräumten Kaffeetassen, falsch abgelegten Dokumenten, Über – oder fehlender Pünktlichkeit, zu viel oder zu wenig Raum für privaten Austausch….

Viele Wege führen nach Rom

Dieses einende Moment kann wieder in den Blick kommen, wenn wir zwischen den einzelnen Positionen und durch sie hindurch auf das gemeinsame Interesse fokussieren. Die Vision, die uns als Team gemeinsam trägt – neudeutsch auch gern als „Purpose“ oder das große „why“ beschrieben, kann dann wieder sichtbar werden, wenn wir anerkennen, dass es verschiedene Wege dorthin gibt und verschiedene Arten, diese Wege zu gehen. Möglicherweise auch Wege, auf die ich selbst nie gekommen wäre, die ich selbst zu gehen nie wagen würde.

Dies so zu denken braucht Großmut und Demut zugleich. Sprich, die eine Fähigkeit, anzuerkennen, dass der eigene Weg, die eigene Art zu arbeiten, zu denken, Team zu verstehen eben immer nur die eigene Wahrheit ist, dass ich NICHT die Wahrheit mit der Suppenkelle gepachtet habe. Das ist besonders dort eine Herausforderung, wo Menschen verschiedener Ausbildungen interdisziplinär zusammen arbeiten und jede*r für seinen Fachbereich natürlich eine gewisse Expertise mitbringt. Allzugern betrachten wir die eigene Disziplin als Maßstab der Dinge. Schlicht, weil wir in ihr unsere Komfortzone haben, mit den Finessen und Feinheiten vertraut sind und sie uns deshalb Dreh- und Angelpunkt der eigenen Welt ist. Die Erkenntnis, dass man auf das gleiche Thema möglicherweise auch aus einer anderen Perspektive sehen kann und damit ganz neue Dinge entstehen können, erschließt sich nur dem, der seine eigene Sichtweise nicht als Monstranz vor sich herträgt. Demut also.

Und die andere Fähigkeit, den Großmut braucht es zugleich. Großzügig und wohlwollend Perspektiven teilen und Raum schaffen, diese verschiedenen Sichtweisen einzubringen. Liebevoll damit umgehen, wenn andere es noch nicht schaffen, ihre Perspektive als eine von vielen zu verstehen, geduldig den Rahmen des orchestralen Teamzusammenspiels aufrecht erhalten und das Gesamtwerk im Blick zu behalten. Großmütig ausreden lassen. Großmütig alle gelten lassen.

Damit Menschen gut zusammen arbeiten können braucht es also einiges:

  • Mut, Unterschiede sichtbar zu machen und zu benennen,
  • Demut, den eigenen Anteil unter das große Gemeinsame einordnen können
  • Großmut, den Blick für  die vielfältigen Wege und Kompetenzen bewahren und gönnen können

 

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