Von dem Tag, an dem ich lernte, auch eigenen Fehlern etwas abzugewinnen…
16. Dezember 2020, 11.45 Uhr 49 Sekunden. In meinem Onlinekurs zur virtuellen Teamleitung setze ich gerade an, die supergestylte Prezi-Präsentation zu den Auswirkungen von Virtualität auf Teamdynamiken zu erläutern. „Eine Studie hat ergeben… Konfliktdynamik hier, virtuelle Kommunikation da …“ Da passiert es: Alle Teilnehmenden erstarren. Vor Faszination? NEIN! Sie frieren ein, die Bilder bewegen sich nicht mehr, der Ton ist weg. Alle Teilnehmenden auf einmal?! Oh nein – das kann nur bedeuten, dass…. Mein persönliches Horrorszenario im Jahr der Onlinefortbildungen ist Wirklichkeit geworden. Mein Internet ist DOWN. Komplett. Kein klitzekleines Byte fliegt irgendwo rum. Nicht die Teilnehmenden hängen und geben mir die Chance, großmütig lächelnd und gnädig „Das kann mal passieren, halb so schlimm!“ zu säuseln, nein… MEIN Internet ist down.
Das war’s mit der Gnade!
Mein Deo versagt und halbwilder Aktionismus macht sich breit. Router aus, Router ein, Kabelcheck, die Kursassistenz im Büro um ein Krisenmail bitten, Kinder anraunzen, ob sie wieder zu viel streamen, die Fehlerquelle suchen und nichts finden – quälende 15 Minuten. Dann – mir nicht, dir nichts – taucht das Internet wieder auf und findet mich schweißmariniert und am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Mit mulmigem Gefühl klicke ich auf den Link zum virtuellen Seminarraum – was mich wohl erwartet? Eine Horde enttäuschter Seminarteilnehmender? Gönnerhaftes Grinsen darüber, dass der Referentin ausgerechnet beim Thema „virtuelle Teamleitung“ so ein Fauxpas unterläuft? Oder sind einfach alle gegangen und jetzt überzeugt davon, dass ich hier wirklich keine Qualität liefern kann? So sehr ich auch versuche, nicht innerlich aufzurüsten gegen vermeintlich unvermeidliche Vorwürfe, so ganz gelingt es mir nicht.
Und die Realität? Die hoffnungsvolle Leserin ahnt es längst: nichts davon ist passiert. Sämtliche Teilnehmenden warten einträchtig versammelt im Seminarraum. Ein freudig freundliches „Ah, sie ist wieder da!“ empfängt mich und ich platze in eine rege Diskussion, die sich über den letzten noch übermittelten Punkt der Präsentation entsponnen hat. Was für ein Geschenk! Ich versuche herauszufinden, wo die Gruppe jetzt steht, und letztlich führen wir den Termin zu Ende, ganz wie geplant – und doch mit einigen Dingen, die ich ganz ungeplant daran lernen durfte.
Zunächst: Onlinemeetings sind super, niemand hat meine Panik mitbekommen 😉
Aber natürlich ist die erste augenfällige Lektion, die sich aus diesem Erlebnis ableiten lässt: Seid gnädig mit Euch selbst! Das kann jedem passieren! Banal irgendwie, und tatsächlich ist da noch viel mehr als diese platte Kalenderweisheit, was zeigt, wie wir Fehler nutzen können, um die Qualität unserer Arbeit nachhaltig zu verbessern.
Ein paar Punkte…
Persönliches Lernen: Die Teilnehmenden haben mich und meine Technik so erlebt, wie wir außer kompetent eben auch sein können: unzuverlässig, fehlerhaft, unperfekt, normal – und so an meinem eigenen Beispiel erlebt, dass man als Leitung nicht perfekt und fehlerfrei agieren kann. Das macht offenbar sympathischer – noch nie habe ich am Ende eines Seminares so viel persönlichen Zuspruch und auch Lob erhalten. Danke dafür noch einmal!
Meine Aufgabe für 2021
Lernen für die Didaktik: Ich selbst durfte lernen, dass ich mehr Vertrauen haben sollte in die Fähigkeit zur Selbstorganisation von (Lern)gruppen. Alle Teilnehmenden haben den plötzlich entstandenen Freiraum genutzt und selbsttätig weiter am gemeinsamen Ziel „lernen, worauf es in virtuellen Teams so ankommt“ gearbeitet. Ich möchte das in Zukunft weiter beobachten und solche Effekte auch ohne technischen Zwang nutzen. Nicht alles initiieren zu müssen und den teilnehmenden Menschen noch mehr Raum zu geben, ist meine persönliche, didaktische Aufgabe 2021 für Onlinekurse. Hoffentlich werden sie dadurch besser.
Lernen für die Organisationsentwicklung: Aus organisatorischer Sicht wurde klar, dass wir einen Krisenfahrplan brauchen. Eine Prozessbeschreibung, an die man sich in so einem Fall halten kann, ohne gleich einen Weltuntergang befürchten zu müssen. Wer weiß, was in einem solchen Fall zu tun ist, hat gleich einen Grund weniger zu verzweifeln oder andere Menschen mit in den Panikmodus zu versetzen.
Fehler sind Hinweisschilder
Fehler zeigen uns, wo unser System Schwachstellen hat, besonders, wenn sie wiederholt auftreten oder personenunabhängig passieren. Seien wir dankbar für jeden kleinen Fehler, den wir erkennen und dessen Ursachen wir bearbeiten können. Mit jedem begangenen Fehler, der bearbeitet wird, wird nicht nur WAS wir tun besser, sondern auch wir als Menschen lernen, immer besser mit Unvorhersehbarem umzugehen. Fehlerfreundlichkeit ist der Anfang des Endes der Krise. Gestatten wir uns voneinander zu lernen und begrüßen wir Fehler. Am besten aber jeden Tag einen anderen, dann wird es auch nicht langweilig.