„Der einzige Weg!“ „Seh ich – aber anders…“
Ich kann nicht anders. Ich wurde so geboren und habe offensichtlich nichts dazugelernt. In Sachen Hierarchie und Obrigkeiten habe ich eine respektlose Ader und was den Umgang mit Machtfragen angeht, bin ich zugleich reichlich naiv. Akademische Titel und mächtige Positionen beeindrucken mich ausschließlich, wenn die Person dahinter beeindruckend ist. Die zwei Buchstaben vor dem Nachnamen machen’s für mich halt nicht aus. Dass man vor Vorgesetzten bestimmte Dinge nicht laut äußert, sondern lieber „Ja. Natürlich!“ sagt als „Warum nicht anders?“ fragt – nie kapiert. Dass man den Chef nicht einfach so bei einem Fehler korrigiert oder ihm erklärt, wie er etwas anders machen kann – nie gelernt. Da muss man vorsichtig sein, da braucht man Samthandschuh, da lässt man vielleicht besser die Finger von – nie gedacht.
Das ist nicht so schlau
Ich weiß das wohl. Allein: ich vergesse sowas in der entsprechenden Situation ab und an. Neulich erst wieder. In einer wichtigen Sitzung mit wichtigen Leuten, einfach mal mit einem Tipp der Kategorie #gutzuwissen dem Oberchef gesagt, wie er sich das Leben in der Webkonferenz leichter machen kann. Ein Kollege fand das Anlass zur Anmerkung, das sei doch ein wenig frech. Aha aha, dachte ich mir. Es gibt also offenbar Spielregeln, die ich mal wieder nicht gleich gecheckt habe. Als Mensch ist mir das erstmal ein wenig peinlich und unangehm, schließlich habe ich vermeintlich etwas falsch gemacht. Als Systemikerin frage ich mich dann aber gerne: Wem dienen diese Spielregeln? Wozu kommen wir in diesem Kreis zusammen und welche Regeln sollten dann eigentlich gelten? Welche sind hinderlich und welche fördern das Vorankommen? Seien wir mal ehrlich. Wenn Chef eine Idee vorgibt und keiner sagt: „Aber…!“, dann kann man Glück haben… vielleicht ist das schon eine wirklich gute Idee, vielleicht ist sie aber auch nur halb gut und nicht zu Ende gedacht. Es ist allemal bequemer zu nicken als mitzudenken und sich aus der Deckung zu wagen. Überbringer schlechter Botschaften, Nörgler und Bedenkenträger sind ja auch wirklich nicht überall gern gesehen. Leider ist es aber oft so, dass die erste Lösung, die aus einem einzigen Hirn entspringt, halt auch immer nur so gut ist, wie sie aus dieser einen Perspektive erwachsen kann.
Nur so klug wie einer allein sein kann
Legen wir unsere Hirne zusammen, bekommen wir einen Zusatzbonus. Neudeutsch: Schwarmintelligenz. Fachdeutsch: Kognitive Diversität. Sie ist Schlüssel, fast schon Garant für die bessere Möglichkeit. Wer es schafft, viele verschiedene Perspektiven einzubinden, der schleift die Idee bereits vor ihrer Umsetzung an den verschiedenen Perspektiven zurecht. Wer Widerspruch im Entwickeln zulässt, muss nicht zwangsläufig an der Realität scheitern, sondern hat schon mal bessere Voraussetzungen, sich unter den Bedingungen der echten Welt vielleicht etwas besser zu behaupten als die Kopfgeburt eines einzelnen.
Unbequem aber trotzdem besser
Bringt höhere Qualität. Kann aber unangenehm sein. Wer so führen möchte, muss eine Kultur schaffen, die dies alles möglich macht: eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit, des Vertrauens und der Kreativität, des Bewusstseins grundsätzlich positiver, wertschätzender Beziehungen jenseits der Hierarchien. Das geht an das eigene Verständnis von Macht, Position und Führung und braucht einen langen Atem. Das Team hingegen muss lernen, diesen Raum auch mit Ideen zu füllen, mit Freuden und freundlich zu widersprechen und mit alternativen Lösungen nicht hinterm Berg zu halten. So kann jede*r die eigene Perspektiven dazugeben und dann geht es ans Aneinanderreiben, Polieren und mit allen Wassern waschen.
Rebellion!
Das ist frei von der Leber weg, das ist Rebellion gegen überliefertes Obrigkeitsgebahren, das ist unbequem und schwer auszuhalten, das ist der naive Glaube daran, dass wir doch zum Besten zusammenkommen, um die beste Lösung zu finden und nicht um Partikularinteressen zu fördern. Das ist – so bin ich überzeugt – zutiefst in der Nachfolge Jesu stehend und angesichts der aktuellen Herausforderungen womöglich doch auch der einzige Weg. Siehst Du anders? Bitte, gern!