Das neue „Normal“

Gleich wohin wir gerade blicken – Dinge ändern sich und ein Zurück in den Zustand „Die gute, alte Zeit“ ist jenseits der Kategorien „wünschenswert“ oder „beängstigend“, schlicht nicht möglich. In den letzten Monaten und Jahren kristallisiert sich diese Erkenntnis heraus, sickert durch meinen Widerstand hindurch und landet auf dem Boden der Tatsachen. Nüchtern betrachtet greifen einfach so viele verschiedene Prozesse ineinander und beschleunigen das Voranschreiten von Veränderung derart, dass sicher geglaubte Leitplanken des Handelns bröckeln. Nichts bleibt, wie es war.

Veränderung ist also das neue Normal?!

Hatte der alte Grieche also doch recht!?! Allen Beharrungskräften zum Trotze – alles fließt und zerfließt uns wie der sprichwörtliche Sand zwischen den Fingern. Wenn dem so ist, dann folgt daraus nicht nur die panische Suche nach Dingen, DIE noch verlässlich sind, sondern eigentlich auch eine Konsequenz: Die Mittel und Methoden, mit denen wir bisher erfolgreich waren, taugen nicht mehr oder nicht mehr lange. Und das ist ja auch, was wir feststellen, wenn wir mit offen Augen leben und arbeiten. Das gilt für Kommunikationswege, genauso wie für Landwirtschaft, Verwaltungsvorgänge, für Angebote kirchlichen Handelns und verschiedene Modi der organisationalen und Teamzusammenarbeit.

Was also tun?

Ich verspüre durchaus den Impuls, angesichts der Veränderung erstmal auf die Metaebene zu gehen, Expert:innen zu befragen, mich ein bis zwei Jahre zurückzuziehen und ein neues, wirklich durchdachtes Konzept für die heute aktuelle Fragestellung zu entwickeln. Vor zwanzig Jahren hätte das vermutlich funktioniert. Würde ich das aktuell so tun, hätte ich in zwei Jahren eine tolle Lösung für ein Problem von vorgestern. Also anders denken?

Anders Handeln?

Agiles Denken und Arbeiten integriert Veränderung von Normalität. Das bedeutet allerdings nicht, wie oft gemunkelt wird, dass jede:r einfach mal irgendwas macht. Agiles Arbeiten entscheidet sich, den sich ständig wandelnden Kontexten entgegenzutreten, indem in sehr regelmäßigen, kurzen Schleifen das aktuelle Denken und Tun rückgekoppelt wird mit den sich ändernden Bedürfnissen. Und: agiles Denken fördert Experiment, positive Fehlerkultur und Kommunikation in Netzwerken als Mittel zum „Erfolg“. Wieso diese drei?

Wozu Experiment?

Die Einsicht, dass die Kontexte meines Handelns sich so schnell ändern, dass ich die entscheidenden Faktoren nicht mehr alle gleichzeitig berücksichtigen kann, ist ein entscheidender Aspekt der sogenannten VUKA Welt. Und sie ist eine theologische Haltung. Eine demütige Gelassenheit dem Leben gegenüber. Als einzelner  Mensch bin ich nicht in der Lage, die eine, richtige, passende Möglichkeit zu finden, die diesen unkalkulierbaren Umständen gerecht werden wird. Ich kann bei allem Bemühen und Versuchen nicht antizipieren, welche EINE Sache richtig ist. Wer das erkennt, sieht den Nutzen darin, mehrere Gedanken, Konzepte, Ideen auszuprobieren. Und erkennt auch, dass es nicht darum geht, irgendetwas komplett Verrücktes zu tun – auch wenn man sich von kleinen Verrücktheiten durchaus inspirieren lassen sollte. Eine große Anzahl an experimentellen Ideen zu verfolgen, schafft schlicht mehr Möglichkeiten auf Erfolg. Und diese Vielfalt an Optionen muss ja doch von irgendjemanden erst einmal getan werden. Ein bisschen wie Lose ziehen – mehr Lose, mehr Gewinnchancen!

Wozu Fehler?

Wie bei der Losbude auch, ist es bei einem solchen Vorgehen recht normal, dass Nieten mit dabei sind. Es wird Dinge geben, die nicht funktionieren. Das gehört zum Konzept der Vielfalt dazu. Das ist gewollt und zwar möglichst früh im Prozess. Je früher ein Fehler ausprobiert und als solcher erkannt wird, umso geringer sind die Kosten, die dadurch verursacht werden. Ich kann diese für mich nicht passenden Ideen dann einfach ad acta legen und muss sie nicht weiterverfolgen. Es werden keine weiteren Monate an Arbeitskraft, Herzblut und Manpower in die Weiterentwicklung investiert. Das klingt banal, aber wer kann nicht aus dem Stand heraus ein, zwei Situationen nennen, in denen wir gerade im Bereich der Teamzusammenarbeit tote Pferde weiterreiten oder ihnen neue Ställe konzipieren? Also macht Fehler und benennt sie rechtzeitig so!

Warum Kommunikation in Netzwerken?

Weil sich die Kontexte nicht nur insgesamt ändern sondern auch in großer Ungleichmäßigkeit und Ungleichzeitigkeit. Was bei mir heute nicht passt, kann in einem anderen Kontext, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort genau die richtige Idee sein. Wenn ich aber nicht über mein Tun spreche, kann niemand davon profitieren und auch ich selbst bin auf meine eigenen Möglichkeiten limitiert. An Ideen anderer können sich im Dialog neue entwickeln und aneinander geschliffen werden. Dabei sind nicht nur die hilfreich, die im Sinne einer Best Practice gelungen sind. Nein, auch an Ideen, die in den ursprünglichen Kontexten scheitern, finden sich Hinweise auf Möglichkeiten für mein eigenes Handeln. Sei es, dass ich nicht die gleichen Fehler reproduzieren muss, weil ich auf die Erfahrung anderer vertrauen kann. Oder, dass ich eine Idee bekomme, warum genau dieses Konzept in meinen Kontexten aber doch funktionieren könnte. Wenn wir es schaffen, mehr in Peer-Netzwerken zu kommunizieren, um uns gegenseitig nicht nur an Erfolgen sondern auch am Scheitern und den begleitenden Umständen teilhaben zu lassen, dann erweitert das also unser Repertoire an Möglichkeiten. On Top verschafft es uns das wunderbar bestärkende Gefühl, mit unserem Gelingen und Nichtgelingen eben nicht allein dazustehen.

Gar nicht mal so überraschendes Fazit

Und wer hier öfter liest, ahnt schon, worauf das wieder hinausläuft: Dazu notwendig ist wie immer eine neue Haltung. Eine, die eben anerkennt, dass Fehler wertvoll und Menschen nicht allmächtig sind. Dass Stärke darin liegt, die eigenen Momente des Scheiterns zu teilen. Das braucht oft viel Mut, aber jemand sollte damit beginnen…

 

 

Dieser Artikel erscheint gekürzt auch in unserer nächsten Ausgabe der „Impulse“

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2 Responses
  1. Anika Sergel-Kohls

    Hallo, Team Josefstal!
    Das neue Normal ist ein wunderbarer Artikel. Erinnert mich an meine Realität und ist inspirierend, leicht und witzig.
    Ich würde mir einen AutorInnen-Namen darunter wünschen.
    Herzliche Grüße, Anika

  2. Anette von Eichhain

    Im Teamblog schreibt Anette von Eichhain – bisher selbst und alleine. Und weil ich das bin, sag ich: Danke! Wie schön, wenns gern gelesen wird! Herzliche Grüße!

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