Agiler werden – nur wie?

Was ist eigentlich agiles Denken und wie kann es in alten Strukturen gelingen?

Klingt nach einer mittel- bis hochkomplexen Frage. Ich fürchte, da hängt wirklich so viel dran, dass ich mir für das nächste Jahr einfach mal vorgenommen habe, den verschiedenen losen Enden dieser Frage nachzugehen. Denn wenn es um New Work geht, dann gibt es vor allem viele old prejudices in den Köpfen.

Meine These: Das liegt vor allem daran, dass nicht wirklich klar ist, was eigentlich gemeint ist. Ist jetzt New Work das gleiche wie agiles Arbeiten und was ist konkret gemeint. Und wenn etwas „New“ heißt, glauben wir Menschen ja doch schon öfter, dass dies gleichbedeutend ist mit „Das alte kann weg, war eh doof“. Das erzeugt natürlich erstmal Ablehnung. Wenn wir auf dieses Muster aber nicht reinfallen, können wir einfach unvoreingenommen mal gucken, was eigentlich dahinter steckt. Und wenn Du bis hierher gelesen hast, möchtest Du mir vielleicht dabei noch zwei, drei Gedanken lang folgen.

Rund um das ganze agile Denken und Rahmenwerk gibt es inzwischen eine Menge Blogs – aber ich kenne kaum welche, die das Ganze aus der Perspektive des sozialen Sektors beleuchten.

Here we go…

Mir kommt schon mal sehr entgegen, dass das Grundlagenwerk des agilen Denkens schlechthin, das agile Manifest (ja, Wortwitz irgendwie) wirklich sehr überschaubar ist. Und benutzerfreundlich obendrein, denn die absoluten Grundsäulen agilen Denkens lassen sich auf vier kleine Sätze herunterbrechen. Ideal für einen niederschwelligen Anfang. Also lass uns mal sehen – was haben wir denn da?

Individuen & Interaktionen gehen über Werkzeuge & Prozesse

Da schlägt mein soziales Herz doch gleich höher. Endlich teilt ein Konzept aus der Wirtschaft meine Überzeugung, dass der Mensch und das Miteinander eben doch wichtiger sind als das Einhalten der nächsten Deadline, die exakte Befolgung der einzelnen Schritte in einer Methode. Unbenommen: Auch das Beherrschen von Methoden, Tools und Prozessen ist wichtig – nicht, dass jetzt jemand auf die Ideen kommt, professionelles, exaktes Arbeiten würde nicht geschätzt werden – aber es ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, möglichst reibungslos ein Seminar durchzuführen, die Fish Bowl Diskussion mit all den einzelnen Schritten korrekt anzuleiten, perfekte Visualisierungen dazu zu geben. All das ist gut und trägt zum Gelingen bei. Aber es ist wichtiger, die Menschen und ihre Zusammenarbeit im Blick zu haben. Schließlich sind sie es, die das Gelingen eines Vorhabens ermöglichen. Die Gewichtung verschiebt sich also wieder mehr hin zu Menschen und ihrer Gemeinschaft. I like.

Funktionsfähige Produkte gehen über Dokumentation

Gut, im Original steht da „Software“. Anwendbar ist der Grundsatz aber auch auf andere Produkte oder eben Dienstleistungen, Bildungsformate, etc. Und mal unter uns: Wer im sozialen Bereich tätig ist, der kann Berichte schreiben. Jedes Komitee, jeder Ausschuss will einen sehen. Jede Finanzierung muss mit Berichten abgesichert sein. Anträge ausfüllen, Maßnahmen dokumentieren, Berichte erstellen… Darüber gehen viel Zeit und (was mich angeht) noch mehr Nerven verloren und kaum jemand macht es wirklich gern und mit Begeisterung. Agiles Denken möchte, dass wir wieder mehr Energie in die Erarbeitung ganz konkreter toller Dinge stecken – seien sie auch noch so klein. Und weniger Zeit fürs Berichtswesen verschleudern, weil: das praktikable, direkte Angebot kommt ja wieder dem Menschen zugute… Ein  schöner Gedanke und zugleich ahne ich: Das könnte in unserem Kontext ne echte Herausforderung werden. Die Bürokratie ist schließlich mächtig in uns….

Zusammenarbeit mit dem Kunden geht über Vertragsverhandlungen

Kunden – das sind in meiner Welt die Menschen, für die ich ein Produkt, einen Kurs, ein Seminar, eine Freizeit entwickle. Sie sind meine Zielgruppe. Letztlich findet sich in diesem kleinen Satz die pädagogische Binsenweisheit wieder „mit der Zielgruppe für die Zielgruppe“. Allerdings hier halt auch noch mit dem Twist: Nicht nur am Anfang mal nachfragen, was die denn wollen, sondern in stetigem Austausch weiter entwickeln. Könnte ja sein, dass Bedürfnisse sich ändern oder dass gerade im Austausch mit dem Kunden zum Thema noch mehr neue Ideen sich entspinnen. Wenn dann der ursprüngliche Vertrag überholt ist, sollte man ihn halt anpassen und nicht sagen „Schade, die Idee wäre gut gewesen!“… So bleibt der Kontakt zwischen Team und Kunde die ganze Zeit über bestehen. Die Entwicklung kleiner funktionierender Angebote (vgl. oben) unterwegs erleichtert das noch mehr und bringt uns außerdem zum nächsten Punkt.

Eingehen auf Veränderung geht über das Verfolgen eines Plans

Eigentlich folgt dieser letzte Satz sehr logisch auf die vorangegangenen. Früher ging man irgendwie davon aus, dass es immer irgendwie gleich nach Plan läuft. Und wenn nicht gleich, dann wenigstens vergleichbar. Standards erstellen, Goldstandards finden. Und dann alles nach Schema F – das geht auch als Beamte. Da haben wir im Frühjahr das Angebot XY, dann zwei Gremiensitzungen, im Sommer folgt das nächste. Bei der Neuentwicklung von Angeboten – wenn überhaupt gewollt – verließ man sich auf die immer gleichen Mechanismen. Wir im kirchlichen Kontext z.B. planen immer noch gerne neue Projekte um Menschen in die Kirche zu bekommen. Ist ja nicht schlecht – Du erinnerst Dich, auch der zweite Teil des Satzes bleibt wichtig – aber die Veränderung darf nicht außen vor gelassen werden. Die Welt hat sich geändert! Das muss bedacht werden und eventuell sogar berücksichtigt. Zumindest aber erkannt. An der Basis sozialer und kirchlicher Institutionen wird der Veränderungsdruck deutlich schneller spürbar. Vielleicht würde es sich also lohnen mal gänzlich andere Herangehensweisen zu erproben und wirklich vom Kundenbedürfnis her zu denken … Ich deute schon mal zaghaft in Richtung Design Thinking… (bald mehr dazu…)

 

Klingt doch eigentlich ganz verlockend, oder? Agile Grundwerte sind menschenfreundlich und resilient – und damit verbindet uns Menschen aus dem sozialen Bereich eigentlich ein ganz zentrales Stück unseres Denkens und Strebens. Die organisationalen Rahmenbedingungen allerdings sind in den meistens Institutionen, Vereinen und Einrichtungen noch nicht ganz das, was man landläufig als wandlungsfähig und flexibel bezeichnen würde. Wer es mit der Agilität ernstlich versuchen möchte, muss also nicht nur eigentlich das Gleiche wollen sondern ganz praktisch und uneigentlich Dinge auch zu ändern bereit sein. Was meinst Du – Wird da was draus?

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