„glauben.lernen.weitergeben.“ Das Studienzentrum Josefstal verabschiedet seinen Leiter
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Der Vortrag „Evangelium kommunizieren in der Arbeit mit Jugendlichen“ der Kieler Professorin Uta Pohl-Patalong schloss mit einer Hommage an denjenigen, für den das Symposium im Studienzentrum veranstaltet wurde: „Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten brauchen Häuser wie Josefstal und Menschen wie Rainer Brandt, die sie gestalten.“
Gekommen sind 60 Teilnehmende aus ganz Deutschland – am zweiten Tag verdoppelte sich die Zahl – um mit einer zweitägigen Veranstaltung „glauben.lernen.weitergeben.“ den Leiter des Studienzentrum, Rainer Brandt nach 16 Jahren zu verabschieden. Die Arbeit des scheidenden Leiters wurde erst am Freitagabend gewürdigt, das Symposium aber las sich wie das Wirken, die Haltung und das theologische Denken von Rainer Brandt. Das Evangelium kommunizieren statt zu verkündigen, denn die Botschaft ist erst am Ziel, wenn sie ankommt, nicht wenn sie gemacht wird, so Pohl-Patalong. Auf die Lebensdienlichkeit und die Lebensrelevanz komme es an, wenn junge Menschen erreicht werden sollen. Dazu ist Partizipation unerlässlich bzw. die Kompetenz der Mitarbeitenden Partizipation zu ermöglichen. Da blitzte der Bibliolog durch, den die Referentin und der Verabschiedende im Studienzentrum und darüber hinaus seit vielen Jahren anbieten. „Weil jede und jeder etwas zu sagen hat“ (Rainer Brandt) ist das Grundprinzip dieser Methode, denn Menschen, die keine Fragen und Zweifel haben, gibt es nicht.
Trotzdem bleibt der Relevanzverlust von Religion. Barbara Hanusa aus Lüneburg setzte sich mit dieser Entwicklung auseinander („Ich bin nicht religiös, ich bin normal“, so der Titel einer Tagung). „Das Fenster zu einer anderen Welt“ scheint bei vielen verschwunden zu sein und das Leben wird vom „ich“ bestimmt. Wenn sie dann für Resonanz (Hartmut Rosa) plädiert, um ein Weltverständnis herstellen zu können, damit Jugendliche sich berühren lassen, darauf antworten können, sich verwandeln lassen, dann trifft es wiederum die Haltung, mit der Rainer Brandt in den Fortbildungen hauptberuflich Mitarbeitende in den vielen Jahren begleitete. Im Gegensatz dazu, so Hanusa, stehe die weit verbreitete kirchliche Haltung gegenüber Jugendlichen „Ihr seid herzlich willkommen, wenn ihr so werdet wie wir“.
„Lässt sich Spiritualität lernen und lehren“ fragte Jan Woppowa, Professor in Paderborn. Lernen, so der Referent, „führt nicht zum Glauben, lernen ist Glauben“. Auch da wurde wieder der (theologische) Geist des Studienzentrums sichtbar: die (jüdische) Grundhaltung des Lernens als Lebensform und das Fragmentarische (Henning Luther) allen menschlichen Lebens.
Unterschiedliche Handlungsfelder eröffneten einen Blick in die praktische Jugendarbeit: „Reiseleiter*in sein im Land des Glaubens“, „Religionssensible Erziehung in der Jugendhilfe“, „Spiritualität bei den Tagen der Orientierung“ sowie „Visionssuche und christliche Spiritualität“. „
Der Übergang vom Symposium in die Verabschiedung begann mit einem Vortrag von Fulbert Steffensky. „Polyphonie der biblischen Stimmen – zwischen Heimat und Fremdheit“ – und, wie könnte es bei dem langjährigen Begleiter des Studienzentrums anders sein: dialektisch, erzählend, in aller Freiheit vorgetragen. Auf die eingangs selbstgestellte Frage: „Warum liebe ich die Bibel?“, antwortete Steffensky „Es ist schön, einen Text zu haben, dem man eine vorrangige Bedeutung gibt“. Das alleine genügt ihm aber nicht. Mit dem Einspruch, „Wenn ich nur Lieblingstexte habe, erkenne ich mich nicht“ kommt das Plädoyer für die Fremdheit des Wortes. „Die Fremdheit unterbricht mich“, der „fremde Text ist mein Lehrer“. Und dann ein Satz (ein Merksatz!) der vielleicht nur von Steffensky kommen kann: „Bibel lesen ist auch Arbeit, nicht spirituelle Sauna“. Er empfiehlt der versammelten Gemeinde im Studienzentrum, der Bibel ein regelmäßiges Gastrecht einzuräumen, um die Psalmen, die Freiheitsgeschichten an sich selber geschehen zu lassen. Dabei, so seine Botschaft, gehe es nicht um die Wahrheit, sondern um die Auslegung der Wahrheit. „Jede Zeit“, so Steffensky, „muss neu lernen, das Wort Gottes neu zu interpretieren“. Und wieder blitzt in diesen Sätzen der Geist des Studienzentrums Josefstal durch. Das Wort Gottes neu zu interpretieren, in Partizipation, darum wurde dieser Ort einmal gegründet, dafür arbeiten die Menschen hier.
Dann wurde es ernst, die Ära Rainer Brandt ging zu Ende. Der Vorsitzende des Trägervereins Josefstal, Wilfried Beyhl dankte Rainer Brandt für 16 engagierte Jahre für die Studien- und Fortbildungsarbeit an diesem Ort, der Bürgermeister verabschiedete ihn aus der Gemeinde Schliersee, die Kirchenrätin Andrea Heußner dankte für die bayerische Landeskirche und der Generalsekretär der aej, Mike Corsa unterstrich die bundesweite Bedeutung des Studienzentrums und stellte die Verdienste Rainer Brandts für die Jugendarbeit der ekd heraus. Der Gottesdienst in der Kapelle des Studienzentrums (nach Rainer Brandts Äußerung, sein Lieblingsort) entpflichtete ihn von seinem bisherigen Dienst und gab ihm Segenswünsche für seinen weiteren Weg in Richtung Unterfranken mit.
Anschließend wartete das Holzhaus auf die Abschiedsgäste, die sich fest und flüssig stärken konnten, die den Liedbeiträgen der Mitarbeitenden und des Vorstands lauschten und Rainer Brandt für die Zeit an diesem Ort zwischen Schliersee und Brecherspitz danke sagen konnten.
Dann ging das „Familientreffen“ der Josefstaler in einen langen Abend über. Der fünfte Leiter dieser Studierstube, Werkstatt und Herberge (eine Zuschreibung des ersten Leiters Christof Bäumler) verlässt diesen Ort. Danke Rainer, leb wohl und Gottes Segen.
Wolfgang Noack
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